1. |
Ausfahrt
02:25
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Berggipfel erblühen,
Waldwipfel erblühen,
vom Lenzhauch geschwellt.
Zugvogel mit Singen
erhebt seine Schwingen:
Ich fahr' in die Welt.
Mir ist zum Geleit,
in goldenem Kleid'
Frau Sonne bestellt.
Sie wirft meinen Schatten
auf blumige Matten.
Ich fahr' in die Welt.
Mein Hutschmuck die Rose,
mein Lager im Moose,
der Himmel mein Zelt.
Mag lauern und kauern,
wer will, hinter Mauern.
Ich fahr' in die Welt.
Joseph Victor von Scheffel
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2. |
Schöner Süden
00:54
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Himmel grau und wochentäglich!
Auch die Stadt ist noch dieselbe!
Und noch immer blöd und kläglich
spiegelt sie sich in der Elbe.
Lange Nasen, noch langweilig
werden sie wie sonst geschneuzet.
Und das duckt sich noch scheinheilig,
oder bläht sich, stolz gespreizet.
Schöner Süden! Wie verehr' ich dich!,
Deinen Himmel! Deine Götter!,
Seit ich diesen Menschenkehricht
wiederseh', und dieses Wetter!
Heinrich Heine
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3. |
Augen in der Großstadt
02:57
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Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen;
Da zeigt de Stadt die asphaltglatt
im Menschentrichter Millionen Gesichter.
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das? Vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang auf tausend Straßen;
Du siehst auf deinem Gang, die dich vergaßen.
Ein Auge winkt, die Seele klingt,
Du hasts gefunden, nur für Sekunden.
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück...
vorbei, verweht, nie wieder.
Du musst auf deinem Gang durch Städte wandern,
siehst einen Pulsschlag lang den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein, es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein Genosse sein. [...]
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick.
Die Brauen, Pupillen, die Lider.
Was war das? Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
Kurt Tucholsky
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4. |
Der junge Schiffer
01:33
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Dort bläht ein Schiff die Segel,
frisch saust hinein der Wind.
Der Anker wird gelichtet,
das Steuer flugs gerichtet,
nun fliegt's hinaus, geschwind.
Ein kühner Wasservogel
kreist grüßend um den Mast.
Die Sonne brennt herunter,
manch Fischlein, blank und munter,
umgaukelt keck den Gast.
Wär' gern hineingesprungen,
dort draußen ist mein Reich!
Bin ja jung von Jahr'n,
da ist's mir nur um's Fahren,
wohin, das ist mir gleich!
Christian Friedrich Hebbel
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5. |
Ägypten
02:00
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Blau ist meines Himmels Bogen,
ist von Regen nie umzogen,
ist von Wolken nicht umspielt,
nie von Abendtau gekühlt.
Meine Bäche fließen träge,
oft verschlungen auf dem Wege
von der durst'gen Steppe Sand
bei des langen Mittags Brand.
Meine Sonn', ein gierig' Feuer,
nie gedämpft durch Nebelschleier,
dringt durch Mark mir und Gebein
in das tiefste Leben ein.
Schwer entschlummert sind die Kräfte,
aufgezehrt die Lebenssäfte.
Eingelullt in Fiebertraum
fühl' ich mein Dasein kaum.
Karoline von Günderrode
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6. |
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Mein Herz, ich will dich fragen,
Was ist denn Liebe, sag'? -
"Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!"
Und sprich, woher kommt Liebe? -
"Sie kommt und sie ist da!"
Und sprich, wie schwindet Liebe? -
"Die war's nicht, der's geschah!"
Und was ist reine Liebe? -
"Die ihrer selbst vergißt!"
Und wann ist Lieb' am tiefsten? -
"Wenn sie am stillsten ist!"
Und wann ist Lieb' am reichsten? -
"Das ist sie, wenn sie gibt!"
Und sprich, wie redet Liebe? -
"Sie redet nicht, sie liebt!"
Friedrich Halm
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7. |
Auf dem Strome
01:43
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Am Himmel der Wolken
erdunkelnder Kranz.
Auf schauerndem Strome
metallischer Glanz.
Die Wälder zuseiten
so finster und tot
und in flüsterndem Gleiten
vorüber mein Boot...
Ein Schrei aus der Ferne,
dann still wie zuvor.
Wie weit sich von Menschen
mein Leben verlor!
Eine Welle läuft leise
schon lang nebenher.
Sie denkt wohl, ich reise
hinunter zum Meer...
Ja, ich reise, ich reise,
weiß selbst nicht, wohin.
Immer weiter und weiter
verlockt mich mein Sinn.
Schon kündet ein Schimmer
von morgendem rot
und ich treibe noch immer
im flüsternden Boot.
Christian Morgenstern
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8. |
Der Wanderer an den Mond
01:55
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Ich auf der Erd', am Himmel du,
wir wandern beide rüstig zu.
Ich ernst und trüb, du mild und rein,
was mag der Unterschied wohl sein?
Ich wand're fremd von Land zu Land,
so heimatlos, so unbekannt,
Berg auf, Berg ab, Wald ein, Wald aus,
doch bin ich nirgends – ach! - zuhaus'.
Du aber wanderst auf und ab
aus Osten's Wieg' in Westen's Grab,
wallst Länder ein und Länder aus
und bist doch, wo du bist, zuhaus'.
Der Himmel, endlos ausgespannt,
ist dein geliebtes Heimatland.
Oh, glücklich, wer, wohin er geht,
doch auf der Heimat Boden steht.
Johann Gabriel Seidl
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9. |
Sonnenaufgang in Venedig
02:09
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Erwachende Glocken. -
In allen Kanälen flackt erst ein Schimmer,
noch zitternd und matt.
Und aus dem träumenden Dunkel schälen sich
schleiernd die Linien der ewigen Stadt.
Sanft füllt sich der Himmel
mit Farben und Klängen.
Fernsilbern sind die Lagunen erhellt.
Die Glöckner läuten mit brennenden Strängen,
als rissen sie selbst den Tag in die Welt.
Und nun das erste flutende Dämmern!
Wie Flaum von schwebenden Wolken rollt,
spannt sich von Turm zu Türmen das Hämmern der Glocken, -
ein Netz von bebendem Gold!
Und schneller und heller,
ganz ungeheuer!,
bläht sich das Dämmern.
Da bauscht es und birst!
Und Sonne stürzt,
wie fressendes Feuer,
gierig sich weiter
von First zu First.
Der Morgen taut nieder in goldenen Flocken
und alle Dächer sind Glorie und Glast.
Und nun erst halten die ruhlosen Glocken
auf ihren strahlenden Türmen Rast.
Stefan Zweig
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10. |
Mondnacht
00:47
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Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus.
Joseph von Eichendorff
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Duo Adriana Berlin, Germany
Bei Thekla Apitz und Paula Linke treffen seit November 2020 Gitarre und erzählerischer Gesang auf eine spielerisch tanzende Violine.
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